Projekt

Erkundung einer mittelalterlichen Wüstung und Ausgrabung ihrer Kirche

1. Bisherige Aktivitäten des GA-F

Im Februar 2015 hat sich der „Geschichtsverein Asche-Fehrlingsen“ als nunmehr gemeinnütziger Verein gegründet, um in Zusammenarbeit mit der Kreisarchäologie und den Einwohnern der Region deren geschichtliches Erbe zugängig zu machen: Im Kirchberg südlich des Ascher Ortsteils Fehrlingsen befindet sich eine mittelalterliche, abgängige Dorfstelle mit den Bauresten einer Kirche, die weitläufig mit einer Steinmauer umfriedet war. Der Öffentlichkeit bisher unbekannt, wurde das Ensemble jüngst in den Fundberichten der „Nachrichten aus Niedersachsens Urgeschichte“ vom Antragsteller vorgestellt (Wiese 2015, Wiese & Lönne 2015). Möglicherweise handelt es sich um die Wüstung +Jürgensborg (dieser Name wird provisorisch hier gewählt), die zusammen mit Fehrlingsen 1449 urkundlich erwähnt wird. Im Verlauf weiterer Geländebegehungen durch Vereinsmitglieder wurden im Frühjahr dieses Jahres Standorte von mindestens vier Gebäuden außerhalb der Umfriedung lokalisiert. Scherbenhäufung im benachbarten Flurstück „In den Eichbäumen“ zeigt die Größenausdehnung des Dorfes von der Kirche noch mindestens 250 m nach Süden an. Zahn- und Knochenfunde in Maulwurfshügeln ca. 20 m südlich der Kirche weisen auf einen Friedhof hin. Da die südniedersächsische historische Kulturlandschaft als gut erforscht gilt, ist die Entdeckung einer großen unbekannten Ortsstelle mit einer eingefriedeten Kirche als spirituelles Zentrum durchaus als spektakulär zu bezeichnen.

Seit April dieses Jahres hat der Geschichtsverein Asche-Fehrlingsen e.V. als Projekt- und Kostenträger unter Fachaufsicht und in Zusammenarbeit mit der Göttinger Firma Streichardt & Wedekind Archäologie (SWA) (eine denkmalrechtliche Genehmigung der unteren Denkmalschutzbehörde liegt vor) eine sondierende Grabung im und am Kirchenbau durchgeführt, die ein Zeitfenster vermutlich zwischen 1250 bis 1450 eröffnet. Die erste Grabung ist beendet. Über 30 Vereinsmitglieder aus Asche, Hardegsen, Göttingen, Hildesheim und Eisenach erbrachten an 6 Grabungstagen etwa 750 ehrenamtliche Arbeitsstunden.

2. Zukünftige Aktivitäten

Im Juli 2015 wurde ein bei der Kultur- und Denkmalstiftung des Landkreis Northeims eingereichter Antrag bewilligt. Das Projekt mit dem Titel „Aus Asche auferstanden – Archäologische Erkundung einer unbekannten Ortswüstung als kulturelle Gemeinschaftsaufgabe“ wird mit 12.030 EUR unterstützt. An dieser Stelle sei der Stiftung unser Dank ausgesprochen.

3. Vorstellung des Projektes

Überall ist Mittelalter in Südniedersachsen! Zahlreiche verödete Ortschaften (Wüstungen), angeschlossene Ackerfluren (meist Wölbäcker) und - in seltenen Fällen - die Kirchenruinen der verödeten Dörfer (Wüstungskirchen) legen Zeugnis einer oftmals nicht erfolgreichen Besiedlung der Höhenlagen vom frühen Mittelalter an ab. Seit Anfang des 14. Jh. führte die europaweite Klimaverschlechterung (Abkühlung, nasse Sommer) und periodische Starkregen-Ereignisse (z. B. 1342 Magdalenen-Hochwasser) besonders in den Buntsandstein-Regionen des Sollings zu Versauerung der Böden, Abschwemmen der fruchtbaren Bodenbedeckung und Vernässung der Täler. Darüber hinaus fuhr 1350 und 1357 die Pest bei der durch die harschen Lebensbedingungen geschwächten Bevölkerung auch in Südniedersachsen eine reiche Ernte ein, und die Landflucht füllte die Städte.

Viele Dörfer fielen in dieser Zeit wüst, nicht aber +Jürgensborg. Das Alter der Keramikfunde beweist die Existenz des Dorfes noch im 15. Jh. Ob das Ende des Dorfes ein friedliches war wissen wir noch nicht. Holzkohle, Brandlehm und ein Armbrustbolzen im Kirchenbereich machen eine kriegerische Auseinandersetzung, Plünderung, Brandschatzung und einen abrupten Untergang der Dorfstelle durch Feuer und Eisen möglich. Da weite Teile des Dorfes unter Wald liegen, repräsentieren Kirchstelle und die ehemaligen Hausstandorte Zeitkapseln, die potentiell eine hohe Funddichte an Keramik versprechen (siehe Nienover) und einen Einblick in die dörfliche Lebenssituation im hohen Mittelalter versprechen.

Weiträumig wurde das Areal mit Sonden begangen. Nägel, Nägel und noch mehr Nägel….keine Edelmetalle, keine Buntmetalle…Ödenei….

 

Kulturelle Zielrichtung: Ergraben der Geschichte als identitätsstiftende kulturelle Gemeinschaftsaufgabe.

Die erste Grabungskampagne zeigte bereits, dass es die Arbeit am Objekt vermochte, altersübergreifend Menschen zu vereinen. Die jüngsten „Archäologen“ waren unter 10 Jahre, die älteste Teilnehmerin war 94 Jahre. Bemerkenswert dabei ist, dass die örtliche Gruppenstruktur hier keine Rolle spielte und sich neue Konstellationen ergeben, wodurch die dörfliche Gemeinschaft insgesamt verbessert wird. Die steigende Anzahl der Interessenten (bisher aus Asche, Hardegsen, Adelebsen, Göttingen, Hildesheim, Eisenach) ist Maß der steigenden Ausstrahlung des Projektes. Dies dokumentiert die große Anteilnahme an der lokalen/regionalen Geschichte und kann eine stärkere Identifikation mit der Region in kleinen wie in großen Zusammenhängen bewirken. Da Geschichte nie isoliert stattfand, bedeutet die geschichtliche Arbeit in diesem Projekt auch, dass Verbindungen aus dem ländlichen in den städtischen Raum und umgekehrt im historischen und bisweilen großräumlichen Kontext erlebbar werden können. Und schließlich sind die ländlichen Regionen durch die anhaltende Bevölkerungsabwanderung in die Städte gefordert, durch Verbesserung der kulturellen und infrastrukturellen Situation dem entgegen zu treten. Unser Projekt trägt dem Rechnung.

Die Grabungskampagnen und Zeitrahmen.

Der Geschichtsverein Asche-Fehrlingsen e.V. wird die Grabungen unter wissenschaftlicher Aufsicht von SWA mit Genehmigung und in Abstimmung mit der Kreisarchäologie selbstständig ausführen. Die Grabungstätigkeit soll eine Gemeinschaftsaufgabe der lokalen Bevölkerung sein. Daher wird nur Freitag und Samstag gegraben, um den Berufstätigen die Mitarbeit am Wochenende zu ermöglichen. Nicht jedes Wochenende kann gegraben werden, da leicht körperliche und mentale Ermüdung bei zu dichter Folge einsetzt. Wir avisieren ca. 10 Wochenenden bis zum 30. Juni 2016.

Wahrung des wissenschaftlichen Standards bei Arbeiten durch Amateure.

Die Firma SWA hat die Grabungshelfer angeleitet, und alle Beteiligten sind sich der Verantwortung bewusst. Permanente Kontrolle wird dadurch gewährleistet, dass immer zwei Mitarbeiter Vorort sind, die die Aktivitäten überwachen. Funde werden gemeldet und von SWA dokumentiert, geborgen und sachgerecht verpackt. Die Lagerung der unpräparierten Funde in Asche ist problemlos. Die Fachaufsichtsbehörde (Kreisarchäologie) war Vorort und hat keine Bedenken. Eine Grabungserlaubnis ist erteilt. Der Geschichtsverein Asche-Fehrlingsen e.V. verpflichtet sich, bei allen Aktivitäten stets die Kreisarchäologie zu involvieren und frühzeitig zu informieren und den Vorgaben des Denkmalschutzes Folge zu leisten.

Denkmalpflegerische Zielrichtung und Auswahl der Grabungsareale.

Um das Bodendenkmal „Dorfstelle +Jürgensborg“ in Ausdehnung, Struktur, Architektur und Erhaltung zu verstehen und das Gefährdungspotential durch die Forstwirtschaft zu evaluieren, wurden in Absprache mit der Kreisarchäologie sieben Grabungsbereiche ausgewählt, in denen die folgenden Grabungsschnitte durchgeführt werden sollen:

1. Westbereich Kirche: Dieser Bereich konnte in der ersten Grabungsphase nicht berücksichtigt werden. Da das Mauerwerk im Westen deutlich dicker ist, muss ein Turm vermutet werden. Die spannende Frage ist, ob Turm und Schiff in einem erbaut wurden oder ob der Bau mehrphasig erfolgte.

2. Torbereich – Eingang zum Kirchhof: Im Westen findet sich ein Einschnitt im Wall, der vermutlich der Eingang zum Kirchhof war. Ein Grabungsschnitt in diesem Bereich wird Auskunft über die Konstruktion der steinernen Mauer sowie des Übergangs zum Torbereich geben. Darüber hinaus wird geklärt, ob der Umfriedung ein Graben vorgelagert war (wie bei der Friwoler Kirche nahe Hettensen). Dieser und die Mauer würden der Anlage über den religiösen Zweck hinaus einen deutlich befestigten, wehrhaften Charakter verleihen.

3. Umfriedung, westliche Innenmauer: Hüttenlehm an der westlichen Innenmauer belegt die Anwesenheit kleiner Gebäude, die als „Spiker“, „Spieker“ oder „Gaden“ bezeichnet werden und kleine Lagerschuppen oder Werkstätten waren. Ein Grabungsschnitt erbringt Informationen über Dimension und Nutzung der Gebäude. Da die Anlage abbrannte, erhoffen wir uns im Brandschutt Funde von Werkzeugen, die auf das ansässige Handwerk schließen lassen.

4. Hang ca. 20 m südlich der Kirche: Der Fund eines menschlichen Backenzahns sowie eines Fußknochens südlich der Kirche sprechen für die Anwesenheit eines Friedhofs. Da bei mittelalterlichen Bestattungen die Körper meist eine Ost-West Orientierung zeigen, wird ein Nord-Süd gerichteter Schnitt angelegt werden, um eine erste Idee über die Bestattungsdichte/m2 zu erhalten.

5. & 6. vermutete Hausstandorte: Vier Bereiche mit reichlich Brandlehm und erhöhter Scherbenführung lassen die Anwesenheit von Häusern erwarten. Diese Bereiche außerhalb der Umfriedung sind durch forstwirtschaftliche Arbeiten (Rückearbeiten und Einsatz von schwerem Gerät) latent gefährdet, und es muss geklärt werden, inwieweit dies besonders schützenswerte Objekte sind. Grabungsschnitte an zwei ausgewählten Standorten sollen die Bauweise klären (Grubenhäuser?). Besonders wichtig jedoch ist die Keramik, die sich in und um die Wohnstätten im Regelfall in großer Dichte findet. Diese ermöglicht eine recht präzise Datierung des Zeitfensters, in dem der Ort aufhörte zu existieren.

7. Chorbereich. Im Chorbereich wird bis auf den Boden gegraben und ein Ost-West-Schnitt angelegt, der auch durch den ehemaligen Kirchenboden gehen muss. Ziel wird es sein, die unterschiedlichen Bauphasen zu erkennen, diese zu datieren und in den siedlungs- und bauhistorischen Kontext in Südniedersachsen zu bringen.

Alle Grabungsschnitte werden nach der wissenschaftlichen Aufnahme wieder verfüllt und die Befunde sind somit gesichert.

 

Beeinträchtigung der Umwelt.

Der Kirchberg ist ein zertifizierter Wirtschaftswald, der nicht geschützt ist. Da hier im Normalfall mit schwerem Gerät gearbeitet wird, stellen unsere Aktivitäten keine zusätzliche Belastung da. Durch die gute Zusammenarbeit mit der Forstgenossenschaft erreichen wir im Gegenteil, dass die Bereiche der Ortswüstung, die Einfriedung sowie der Kirchenanlage durch forstwirtschaftliche Aktivitäten nicht weiter geschädigt werden und anfallende Forstarbeiten mit uns abgesprochen werden, um minimal invasiv zu bleiben.

Wahrnehmung der Aktivitäten in der Öffentlichkeit.

Unsere Ergebnisse werden durch Presse, geplanten Publikationen und Vorträge der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Für die abgeschlossene Pilotstudie wurde für den 26. Juni 2015 die Presse eingeladen (s. Göttinger Tageblatt vom XX). Eine öffentliche Begehung (Ankündigung GT, HNA, Hardegser Stadtanzeiger) fand am Sonntag, d. 02. 08. 2015 statt. Ein öffentlicher Vortrag am Freitag, d. 29. 01. 2016 im Dorfgemeinschaftshaus Asche wird die ersten Ergebnisse vorstellen.

Sichtbarkeit, Nachhaltigkeit und Folgekosten.

Zum Abschluss des Projektes wird eine Informationstafel mit den belastbaren Informationen erstellt. Die Inhalte werden mit SWA und Kreisarchäologie auf Basis der Befunde erarbeitet. Die Tafel wird in unmittelbarer Nähe der Hauptgrabungsstelle an der Kirchenruine installiert. Sichtbar sind die Umfriedung, die sich deutlich als Wall abzeichnet, sowie der mögliche Eingang zur Anlage im Westen. Mittelfristiges Ziel ist es, in einem weiteren Schritt Teile der Mauerkrone zu sichern, so dass der Umriss der Anlage sichtbar bleibt. Dies erfolgt in enger Abstimmung mit der Kreisarchäologie. Da die Kirche im Wald liegt, wird der Besucher vom Wirtschaftsweg durch Wegebeschilderung herangeführt. Nötige Pflegemaßnahmen an und in der Wüstung sowie Ausschilderung werden vom Verein auf eigene Kosten durchgeführt. Arbeiten am Mauerwerk der Kirche werden mittelfristig weitere Kosten erzeugen. Die Mittel hierfür werden nicht bei der Kultur- und Denkmalstiftung beantragt.

Zusammenarbeit mit den Grundstückseigentümern.

Das Gelände gehört der Forstgenossenschaft Fehrlingsen, die unsere Arbeit ausdrücklich unterstützt. Eine Kopie der Genehmigung liegt der Kreisarchäologie vor.

Die Region um Asche mit einer unverbauten und attraktiven Naturlandschaft einerseits und einer hohen Dichte mittelalterlicher wie neuzeitlicher kulturlandschaftlicher Relikte andererseits eignet sich hervorragend, zusammen mit dem benachbarten Dorf Hettensen (auch Landkreis Northeim) und auch darüber hinaus, eine Potentialanalyse für einen „Wanderweg in die Geschichte“ durchzuführen. Darüber hinaus sind, wenn die Grabungsstelle in einen angemessenen Zustand überführt wurde, wieder Gottesdienste möglich, wie auch schon in der Friwoler Kirche gehalten. Nach Abschluss aller Arbeiten sollen die Funde ausgestellt werden, wobei eine erste kurze Ausstellung in Asche im Dorfgemeinschaftshaus stattfinden sollte. Danach ist eine kleine Sonderausstellung in einem kleinen Museum der Region anzustreben. 

Verbleib der Funde.

Die Funde verbleiben zunächst im Besitz der Geschichtsvereins Asche-Fehrlingsen e.V. und werden vom Vorsitzenden (Antragsteller) verwahrt. Nach den Ausstellungen werden die Funde umgehend dem Braunschweigischen Landesmuseum (Abt. Ur- und Frühgeschichte) in Wolfenbüttel oder der Kreisarchäologie zum Verbleib übergeben